Wenn man malt, muss man
alles malen?
Die Malereiarbeiten von Elke Dombrowski gehören
ohne Zweifel der urbanen Kunstpraxis an. Mit ihrem „Panorama“
präsentiert die Münstersche Künstlerin einen Rundblick
auf artifiziell konstruierte Stadtlandschaften. Die Wahl der länglichen
Leinwandformate, die an den Wänden horizontal aneinanderreihen,
und die wie ein Bildstreifen das Foyer der Städtischen Bühnen
in Münster umfassen, erinnern an einen Bildfries. Dem Friesprinzip
zufolge verläuft die Betrachtung des Objekts im Prozess des Gehens,
d.h. will man das „Panorama“ visuell erfassen, muss das
Foyer umschritten werden. Im Unterschied zu traditionellen Friesbeispielen
verliert dieser seine einheitliche, lineare Kontinuität durch zielgerichtete
Unterbrechungen. Sie entstehen durch die konstante Schwierigkeit, das
Ganzheitliche der städtischen Landschaft zu zeigen. Es führt
die Künstlerin zu den Bruchstücken, Verkürzungen, zur
Konzentrierung der Informationen in kleineren Ausschnitten. Und hier
bedient sie sich der Begrifflichkeit von Fragmentarismus – die
Stadtbilder werden in einer offenen Struktur artikuliert, die keinen
bestimmten Anfangspunkt und kein Ende aufweist.
Durch die Fragmentierung des „Panoramas“ verliert Dombrowski
die Zusammenhänge der Bilder nicht. Diese artikulieren sich insbesondere
durch die Wahl der Gegenständlichkeit und Farbigkeit. Indem die
Künstlerin die Stadtobjekte auf Architekturobjekte reduziert, verzichtet
sie völlig auf die typische Triade Metropole-Passanten-Verkehrsmittel.
Ihr Bezug zur Realität bleibt minimal gewahrt: Die Künstlerin
formt das Gesehene um, schwankt zwischen Abstraktion und Konkretion
und entscheidet sich für die ästhetische Adaption der primitiven
Formen. Ihr eigenwilliger Umgang mit den Objekten sowie die Lässigkeit
der Perspektive wirkt verblüffend. Alte Hütten, moderne Hochhäuser
oder Architekturfassaden mit klassischen Säulen fliegen, sie hängen
im Bildraum, stehen in einer schrägen, für ein Gebäude
undenkbaren Position. Allerdings haben sie weder mit der vertrauten
Dämonisierung der Stadt von den Expressionisten noch mit der futuristischen
Beweglichkeit der industrialisierten Stadt zu tun. Aus den Arbeiten
von Dombrowski spricht ein besonderer Rhythmus der Form, die Künstlerin
schafft ihren eigenen Stadtdiskurs: "Die Stadt ist ein Diskurs,
und dieser Diskurs ist wirklich eine Sprache: Die Stadt spricht zu ihren
Bewohnern, wir sprechen unsere Stadt, die Stadt, in der wir uns befinden,
einfach indem wir sie bewohnen, durchlaufen und ansehen." (1)
In diesem Diskurs erscheint die völlige Auslöschung der Einwohner
der Stadt, der Passanten, Stadtbummler und Flaneure besonders interessant.
Mit der friesartigen Hängung, dem linearen Nebeneinander entwickelt
die Künstlerin eine spannende Interaktion zwischen den Rezipienten
und Stadtbildern. Der Vorgang des Gehens und Betrachtens wird zur Aktivität
der Passanten. In diesem Sinne, mit Michel de Certeau gesprochen, erzeugt
die Motorik der Fußgänger eines jener realen Systeme, deren
Existenz den Stadtkern ausmacht.(2)
Auch das Foyer gewinnt dadurch an Bedeutung, es wird zum Resultat der
Handlungen, es wird zum Stadtraum. Dieser ist "ein Geflecht von
beweglichen Elementen. Er ist gewissermaßen von der Gesamtheit
der Bewegungen erfüllt, die sich in ihm entfalten. Er ist also
ein Resultat von Aktivitäten [...]." (3)
Die deutlichste Charakteristik der Stadt tritt durch die Wirkung der
Expressivität und Spontaneität von Farben hervor. Farbschichten
und –verläufe mischen und überlagern sich. Große,
helle Flächen setzen sich gegen aggressiv wirkende, dunkle Bereiche.
Einmal erscheint der Farbklang ruhig, ein anderes Mal überrascht
er mit drastischem Rosa oder leuchtendem Grün. Die Farbigkeit beinhaltet
das Wesentliche der Stadt – sie ist nie die gleiche.
Ein besonderes Merkmal der Malerei von Dombrowski ist, dass es eine
prozessuelle Malerei ist, eine Malerei, die Zeit braucht. In der Zeit
manipuliert die Künstlerin den Bildraum und die Gegenständlichkeit
intuitiv, sie lässt einige Objekte hinter den Farbschichten verschwinden,
andere ersetzt sie durch die üppigen Farbflächen, die ihre
eigene Autonomie gewinnen. Das Entfernen, Beseitigen und Verstecken
durch die Farbe gehört ebenso zur Stadtcharakteristik, zu ihrer
permanenten Wechselhaftigkeit. Es kann die Wahrnehmung des Bildes erschweren
oder stören, es kann aber als Stimulanz fürs Nachdenken, für
die unterschiedlichen Fragestellungen, d.h. als visueller Denkraum dienen.
Daher übernehmen die Farbschichten und –flächen die
Funktion der Leerstellen (4) in der Malerei, deren Aufgabe darin besteht,
"den Betrachter an der innerbildlichen Kommunikation zu beteiligen,
die Kommunikation mit dem Bild mit der Kommunikation im Bild zu verschränken."
(5)
Auch Denis Diderot ünterstützte in seiner Zeit die Idee der
Leerstelle und somit auch die produktive Auseinandersetzung mit dem
Bild: "Wenn man malt, muss man alles malen? Habt Erbarmen und lasst
eine Lücke, die meine Phantasie ausfüllen kann." (6)
Dr. Dalia Klippenstein
Einführung in die Ausstellung "Panorama. Raumstücke"
im Foyer der Städtischen Bühnen Münster
1 Roland Barthes: Semiologie der Stadtplanung.
In: Das semiologische Abenteuer, Suhrkamp. 1988, S. 202.
2 Vgl. Michel de Certeau: Das Sprechen der verhallenden Schritte. In:
Kunst des Handelns, Merve Verlag Berlin. 1988, S. 188.
3 Ebd. S. 217.
4 Wofgang Kemp: Über Leerstellen in der Malerei des 19. Jahrhunderts.
In: Der Betrachter ist im Bild, Reimer Verlag Berlin. 1992, S. 307-332.
5 Ebd. S. 315.
6 Denis Diderot: Salon von 1763. In: Ästhetische Schriften, Frankfurt/M.
1968. Bd. 1, S. 440.
Artifizielle Konstruktion der Realität
Elke Dombrowski hat sich in ihrer Malerei der
Figuration verschrieben und damit löst sie sich aus der Innovationsspirale
der postmodernen Kunst.
Im Zentrum ihrer Bilder [aus dem Jahr 2009] steht die artifizielle Konstruktion
der Realität. Das Interesse an diesem Thema speist sich aus der
Betrachtung bewegter Situationen und unterschiedlicher Figurenkonstellationen
im gesehenen Realismus. Aus dem Erlebten und Gesehenen stellt die Künstlerin
ihr privates Schnappschuss-Archiv zusammen. Sie benutzt das im Medium
der Photographie eingefangene figurative Material als Vorlage für
ihre Kompositionen. Daraus resultiert eine unerwartete Synthese aus
klassischer Malerei und Collage. An dieser Stelle muss das Verständnis
des Collagierens präzisiert werden. Es hat mit dem vertrauten papier
collé nichts zu tun, hier geht es um die partielle Wiederverwendung
und Übernahme fremder Bildkomplexe. Collagiert wird mit dem Blick,
und die Transposition von dem einen Medium in das andere wird mit den
malerischen Mitteln durchgeführt. Die Figuren werden aus ihrem
ursprünglichen Zusammenhang herausgerissen und in eine artifiziell
konstruierte Umgebung hineingepflanzt.
Die Künstlerin verzichtet auf das mimetische Malverfahren, sie
lässt das Ausgangsmaterial Photographie mit seinem dokumentarischen
Charakter verschwinden und bietet anstatt dessen eine beinahe flache
Darstellungsweise mit dem minimalen Eindruck eines Volumens, ohne deutliche
Ausprägung der Gesichtszüge oder Mimik an. Der Rückgriff
auf die repräsentative Realität bleibt möglich, jedoch
sind die Figuren in ihrer Gestik erstarrt und wirken wie Fremdkörper.
Damit enthüllt sich die Intention der Malerin – das Collagieren
wird verwendet, um eine emotionale Ebene aufzuzeigen. Reflektiert wird
die Anonymität, das Unklare, Fremdartige, eine elegisch-melancholische
Stimmung. Mit Adorno gesprochen, werden hier die Wirklichkeitsfragmente
hereingelassen und in ästhetische Wirkung umfunktioniert (Theodor
W. Adorno, »Ästhetische Theorie«, Frankfurt 1972, S.
232).
Diese emotionale Ebene wird durch die Positionierung der Figuren intensiviert.
Sie sind meistens an den Rand des Bildes gerückt („entschwinden“,
„Ich folge dir..“, „zögern“, „ohne
Erlaubnis“, „Geheimnis“ u.a.) und bestimmte Körperteile
werden „amputiert“ („Ich versuch’ es einfach
mal...“, „Geheimnis“, „zögern“, „entschwinden“
u.a.). Damit betonen sie nicht nur die Abwesenheit des Abbild-Charakters,
der idealen Ganzheit, sondern sprengen auch die traditionelle Struktur
der narrativen Malerei.
Als Vertreter der „Außenwelt“, treten die Figuren
in Kontrast zu der Räumlichkeit, die den größten Platz
in den Bildern einnimmt. In vielen Fällen sind die Räumlichkeiten
landschaftliche Szenerien, die auf die bekannten Gegebenheiten reduziert
werden: Himmel, Erde, Luft, Wasser.
Die Räumlichkeiten kennzeichnen sich farblich durch ihre Polychromie.
Allerdings sammeln sich die Farben um eine bevorzugte Farbe, und diese
ist das Weiß. Das Weiß wird von der Künstlerin großzügig
verwendet: Grün, Blau, Rot, Braun, Schwarz werden mit dem Weiß
gemischt. Eine derartige Mischungstechnik lässt die Bildatmosphäre
als ein Lichtgewebe erscheinen („entschwinden“, „daraufzu“,
„zögern“, „allein“, „Geheimnis“
u.a.), das eine gewisse Zerbrechlichkeit und Zartheit, zugleich aber
einen pastellhaften, künstlichen Beigeschmack hat.
Dieser Eindruck verbindet sich mit dem malerischen Gestus der Künstlerin.
Sie verzichtet auf eine Handschrift im energischen Farbauftrag. Die
Pinselstriche sind leicht, zugleich aber sichtbar, zielgerichtet, regelmäßig,
manchmal pastos und reliefartig. An manchen Stellen werden sie verschmiert
und in großflächige Farbaufträge verwandelt, an anderen
Stellen gehen sie in Tupfen, Flecken und Lichtpünktchen über.
Die Pinselstriche werden auch unterschiedlich ausgerichtet: horizontal,
vertikal, kursiv. Somit verschafft die Malerin der Bildatmosphäre
keine Stabilität oder Monumentalität, aber auch keine Beweglichkeit.
Mit der Koloritwahl und Maltechnik entwickelt die Künstlerin eine
fremde, surreale Ebene. Hier zieht sie eine deutliche Trennlinie zwischen
dem Surrealen und dem Surrealistischen. Das Surreale gilt für sie
als ein komplexer Begriff, der auf die Analogien und Differenzen verwandter
Bezeichnungen gerichtet ist: Geträumtes, Imaginiertes, Verrätseltes,
Irritierendes. Dies sind die Bezeichnungen, die die Künstlerin
in ihren Bildern sichtbar oder spürbar macht.
Die eigentliche Leistung der Komposition liegt in der Entfaltung der
Begrifflichkeit von Figur. Einerseits repräsentiert Figur die traditionelle
Bedeutung des Statischen, der fixierten Gestalt. Andererseits entfaltet
sie sich im Prozess der Beweglichkeit: Mit Figur ist immer schon „etwas
Lebend-Bewegtes, Unvollendetes, Spielendes“ bezeichnet (Erich
Auerbach, >Figura<, in: »Gesammelte Aufsätze zur romanischen
Philologie«, Bern/München 1967, S. 55-92). Ins Blickfeld
rückt die Künstlerin ihre transformatorische, inversive, konfigurative
Eigenschaft. In erster Linie gilt es, das Collagieren mit dem Blick
zu erwähnen, was eine fremdmediale Über-Setzung in die Malerei
ermöglicht. Auf der emotionalen Ebene entwickelt die Künstlerin
eine unerwartete Verschiebung: Die Räumlichkeit, die als Fond,
als Hintergrund erscheinen sollte, wird zum Hauptträger der Emotion
und der Stimmung in der Bildatmosphäre. Sie findet keine Verwebung
mit den collagierten und hineingepflanzten Figuren und verschiebt sie
in eine hintergründige Position. Was Figur in den Arbeiten der
Malerin hervorbringt, ist das wichtige Moment des Übergangs, des
Wechsels.
Dalia Klippenstein, Kunsthistorikerin
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